Speiseinsekten – haben sie Zukunft auf unserem Speiseplan?

Stand: 07/15/2022
Einst als Vorratsschädlinge bekämpft, eröffnen sich nun im Zuge des Klimaschutzes und der Sicherung der weltweiten Proteinversorgung für so manche Insektenart neue Nutzungsperspektiven. Voraussetzung ist allerdings, dass ein in unserer Gesellschaft tief verwurzeltes Ekelempfinden langfristig überwunden wird.
Insektenessen ist für einen großen Teil der Weltbevölkerung nichts Neues. Etwa 2000 Insektenarten werden weltweit verzehrt, hauptsächlich in Asien, Afrika, Südamerika und Australien. Aus fernen Ländern haben wir schon so manche kulinarische Anregung übernommen und uns zur Gewohnheit gemacht: viele Gewürze, exotische Früchte und Gemüsearten bereichern die deutsche Küche.
Aber Akzeptieren wir auch Krabbeltiere auf unserem Teller? Könnten sie sich in unserer Esskultur etablieren?


Vorreiter war die Larve des gelben Mehlwurms (lat. Tenebrio molitor) aus der Familie der Schwarzkäfer. Sie erhielt am 4. Mai 2021 als erste Insektenart die Zulassung als neuartiges Lebensmittel für den europäischen Binnenmarkt unter der Novel Food-Verordnung. Die Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) schaffte den Sprung auf Europas Zulassungsliste am 5. Dezember 2021. Am 3. März 2022 folgte das Heimchen bzw. die Hausgrille (Acheta domesticus). Diese Insekten dürfen gefroren, getrocknet oder in Pulverform in den Verkehr gebracht und in einigen Lebensmittelkategorien als Zutat zugesetzt werden, beispielsweise in Teigwaren, Suppenkonzentraten, Burgern, Chips, Proteinriegeln, Schokoladenerzeugnissen und einigem mehr.

Bevor die Insekten oder insektenhaltige Lebensmittel europaweit vertrieben werden dürfen, müssen sie entsprechend den Vorgaben der Novel-Food-Verordnung (EU) 2015/2283 gesundheitlich bewertet werden. Aufgrund einer Übergangsregelung des Art. 35 Abs. 2 dieser Verordnung können einige Insekten bisher auch ohne Zulassung vertrieben werden, wenn die Produzenten einen entsprechenden Zulassungsantrag gestellt haben und darin die Produktionskette transparent machen. In Deutschland sind somit auch Erzeugnisse des Buffalowurms, der Soldatenfliege oder der Honigbienen-Drohnenbrut auf dem Markt. Weitere Insekten stehen als alternative Proteinquelle in der Warteschlange. Dabei müssen nicht nur die Insektenarten, sondern auch die jeweiligen Einfuhrländer zugelassen werden. Zugelassene Drittländer der EU sind derzeit die Schweiz, Kanada, Südkorea, Thailand und Vietnam.


Welches Potential steckt in Speiseinsekten?

Laut Forsa-Ernährungsreport können sich in Deutschland etwa 41 Prozent der Bevölkerung den Verzehr von Lebensmitteln auf Basis von Insekten vorstellen. Mit 50 Prozent ist die Akzeptanz in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen am größten.

Aus ernährungsphysiologischer Sicht haben Insekten einen hohen Proteingehalt und sind zudem gute Quellen für B-Vitamine, Omega-3-Fettsäuren, Ballaststoffe und Mineralstoffe wie Zink und Eisen. Der Proteingehalt ähnelt dem in Fleisch von Rind, Schwein und Pute, variiert allerdings je nach Insektenart und Entwicklungsstadium des Insekts. Auch die Futterzusammensetzung kann den Nährstoffgehalt beeinflussen. In gefriergetrocknetem Zustand ist die Nährstoffdichte im Insekt nochmal höher.
Die zurzeit marktgängigen Insektenprodukte enthalten teilweise aber nur sehr geringe Mengenanteile an Insekten. So werden z.B. in Nudeln nur etwa 10 Prozent vermahlene Insekten beigemischt. Teils wird der Insektenanteil aus technologischen Gründen bei der Teigbereitung gering gehalten, teils spielt der horrende Preis eine Rolle. Rund 12 Euro für 100 Gramm Mehlwurmmehl ist ein üblicher Preis, da Insektenmehle zurzeit noch nicht in Masse produziert werden. Auch bei gefrorenen Insekten oder gerösteter Ware als Insektensnack liegt der Kilopreise je nach Insektenart teilweise bei 80 bis 125 Euro. Insekten zum Snacken werden daher häufig in erschwinglichen 15 bis 30 Gramm Portionen angeboten.

Aus dem ökologischen Blickwinkel gibt es gute Gründe für die Nutzung von Insekten für die menschliche Ernährung. Im Vergleich zur üblichen Nutztierhaltung ist die Aufzucht von Insekten kosten- und ressourcenschonend. Sie benötigen weniger Platz und durch den kurzen Entwicklungszyklus sind das Populationswachstum und die tägliche Gewichtszunahme rasant. Die Umwandlungsrate von Futtermittel in Insektengewichtsmasse wird als ausgesprochen günstig beurteilt.
Der alternative Einsatz von Insekten als Futtermittel für Nutztiere ist noch wenig erforscht, aber als Soja- und Fischmehlersatz für die Zukunft gut vorstellbar.


Sicherheit von Speiseinsekten – Gibt es Gesundheitliche Bedenken?

Im Gegensatz zu den in Afrika oder Asien in der Wildnis gesammelten Insekten, die man online kaufen kann, entstammen alle Speiseinsekten, die über den deutschen Handel angeboten werden, aus kontrollierter Aufzucht. Sie sind geltenden Hygienevorschriften und rechtlichen Anforderungen unterworfen. Beispielsweise muss die Futtermittelhygiene-Verordnung, die das Füttern von Speiseabfällen verbietet und die Einhaltung von bestimmten mikrobiologischen Vorgaben regelt, beachtet werden.
Die Übertragung von Parasiten und Zoonosen (von Tieren auf Menschen übertragene Infektionskrankheiten) sowie die Kontamination bzw. Anreicherung von Pestiziden sind bei Insekten aus industriell überwachter Aufzucht unwahrscheinlicher.

Ein gewisses Risiko besteht darin, dass noch viele Produktionsstandards fehlen. So verzichten die europäischen Insektenzüchter nach eigenen Angaben auf den Einsatz von Chemikalien, Hormonen, Antibiotika oder anderen Arzneimitteln, doch neutrale und unabhängige Kontrollinstanzen gibt es zurzeit noch nicht. Auch die Übergangsregelung für einige noch nicht offiziell zugelassene Insektenarten ist problematisch, denn so kommen Insektenerzeugnisse auf den Markt, die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) noch nicht ausreichend auf Risiken untersucht und bewertet worden sind. Des Weiteren gibt es Mängel bei der Identitätskennzeichnung von züchtenden und verarbeitenden Betrieben.

Laut Bundesamt für Risikobewertung (BfR) besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf, was die Technologie der Aufbereitung und Verarbeitung betrifft, ebenso wie die toxikologische und mikrobielle Sicherheit sowie das Allergiepotential der Insekten. Es ist davon auszugehen, dass vor allem Menschen, die gegen Krusten- und Schalentiere oder gegen Hausstaubmilben allergisch sind, aufgrund von Kreuzreaktionen auch Allergien auf Insektenprotein entwickeln können. Da der Verdauungstrakt bei den meisten Insekten vor dem Verzehr nicht entfernt werden kann, müssen fütterungsbedingt auch Glutengehalte in Insekten bedacht werden. Auf diese Allergierisiken muss auf der Verpackung von Insektenerzeugnissen jeweils deutlich hingewiesen werden.

Um zu gewährleisten, dass in den Insektenkörpern (vor allem im Darm) enthaltene Keime abgetötet werden, sollten Insekten oder Insektenteile einer Hitze- oder Hochdruckbehandlung unterzogen werden. Im Marktcheck der Verbraucherzentralen (VZ) wurde bemängelt, dass auf den Produkten keine Hinweise auf angewendete Verfahren zur Keimtötung gegeben werden. Eine von den VZ in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage zu insektenhaltigen Lebensmitteln ergab, dass die meisten Verbraucher von einer direkten Verzehrsfähigkeit der Produkte ausgehen. Eine Kennzeichnungspflicht zur sicheren Verwendung ist daher notwendig.


Tierwohl für Insekten

Insekten in Zuchtbetrieben sind nach gängiger Rechtsauffassung Nutztiere, deshalb müssen auch für sie Tierschutz-Standards gelten. Doch für die Zulassung der Insektenzuchtbetriebe gibt es derzeit in Deutschland noch keine ausreichenden Regelungen für Haltung, Fütterung, Medikamenteneinsatz, Besatzdichte und Tötung von Insekten.
Zur möglichst schonenden Tötung hat sich unser Nachbarland Österreich auf zwei Verfahren festgelegt: Tieffrieren bei mindestens -18 Grad Celcius oder die Tötung mit kochendem Wasser oder Dampf bei mehr als 100 Grad Celsius. Letzteres gilt nur für Insekten in nicht flugfähigen Stadien, also für Würmer und Larven.

Zumindest im Bio-Bereich hat der deutsche Verband für ökologischen Landbau Naturland im Juni 2021 eigens Richtlinien für die ökologische Insektenzucht herausgebracht. Unter anderem geht es in dieser Richtlinie darum, dass in erster Linie Neben- und Restprodukte aus ökologisch-pflanzlicher Produktion verfüttert werden sollen, die möglichst nicht in direkter Konkurrenz zu Lebensmitteln für den menschlichen Verzehr stehen (Getreide, Soja, Gemüse).


Ausblick

Insekten können, wie andere Nutztiere auch, ihr Futter in für uns wichtige Nährstoffe umwandeln. Die Preise für Speiseinsekten sind noch aufgrund fehlender Produktionsmasse zu hoch, die Vorstellung Insekten als Mahlzeit zu verzehren bisher noch zu ungewohnt. Produktionsstandards sind wichtig, um die Sicherheit der Lebensmittel für den menschlichen Verzehr zu gewähren und Vertrauen zu bilden.

Im Juli 2021 hatte sich innerhalb des Verbandes für alternative Proteinquellen e.V. (BAL Pro e.V.) eine Arbeitsgruppe „Speiseinsekten Deutschland“ gebildet, unter anderem mit den Zielen der Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung und des Wissenstransfers in der Branche. Einige junge Startup-Unternehmer sind Mitglied dieser BAL Pro-Arbeitsgruppe. Sie streben eine effiziente und innovative Produktionsinfrastruktur an, um Produkte aus Grille, Wurm und Co. aus ihrem Nischendasein zu holen und als zukunftsfähiges Lebensmittel in der Gesellschaft zu etablieren.


Quellen und weiterführende Informationen
Vertriebe von Insektenprodukten aus europäischer Produktion (Auflistung ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
  • Catch-your-bug, Vertriebsplattform der 1. zugelassenen deutschen Speiseinsektenzucht, im Internet unter catch-your-bug.com (Zugriff am 11.07.2022)
  • Snack-Insects, Vertrieb von Heuschrecken, Grillen Mehl- und Buffalowürmern von europäischen Züchtern, im Internet unter snackinsects.com (Zugriff am 11.07.2022)
  • Insnack GmbH, Berlin, Vertrieb von Energieriegeln mit Grillenmehl aus europäischer Produktion, im Internet unter startnext.com/insnack (Zugriff am 11.07.2022)
  • EntoSus, Naturland-Grillenfarm und Produktvertrieb, Bremen, im Internet unter entosus.de (Zugriff am 11.07.2022)
  • Plumento Foods, Herstellung und Vertrieb von Nudeln und anderen Produkten, im Internet unter plumento-foods.com (Zugriff am 12.07.2022)


Annette.Conrad@dlr.rlp.de